Einige Gedanken über die Bandpass- und IP3-Mania in Bezug auf SDR-Directsampling-Empfangssysteme

Detlev DL4AOI hat mir einige Gedanken über die Bandpass- und IP3-Mania in Bezug
auf SDR-Directsampling-Empfangssysteme geschick, mit der Freigabe es auch hier zu veröffentlichen.

Die Definition des Begriffes wie hier verwendet :
Ein SDR-Directsampling-Empfangssystem besteht in der genannten Reihenfolge aus den
Baugruppen Empfangsantenne -> Abschwächer(schaltbar) -> Vorverstärker -> [Bandpassfilter] ->
Analog zu Digital Converter(ADC) -> anschließende digitale Verarbeitung der vom ADC
gelieferten Binär-Zahlen.

Unter dem Forum-Link
viewtopic.php?f=36&t=141
habe ich vor etwa einem Jahr beschrieben, dass sich die Qualität unseres Sendesignales
bei niedriger Aussteuerung des Digital zu Analog Converters(DAC) verschlechtert. Je geringer
die Aussteuerung(also mit kleinen Binärzahlen ansteuern), desto mehr Gewicht bekommen die
unerwünschten Nebeneffekte unseres DAC und verfälschen das Sendesignal.
Da von den Lesern niemand nachgefragt hat, war das offensichtlich für alle nachvollziehbar.

Genauso – nur im umgekehrten Sinne – verhält es sich im Empfangszweig mit unserem ADC.
Je kleiner die Eingangsspannung des ADC, desto kleiner ist die Binärzahl, die der ADC an
seinem Ausgang für die anschließende digitale Verarbeitung bereitstellt.

Machen wir ein Beispiel an einem gedachten idealen 16Bit-ADC(gilt auch für DAC!) :

Ein 16Bit ADC hat einen Ausgangswertebereich von -32768…0…+32767 bei +/- 100%
Eingangsspannungsamplitude.
Leider hat er auch noch einen Quantisierungsfehler von +/- 0,5(1/2 LSB), weil er eben nur
ganze Bits liefert und die Werte hinter dem Komma irgendwie runden muß.
Dieser Fehler +/- 0,5 ist aber konstant, also unabhängig von der Größe der Eingangsspannung!

Wenn die Eingangsspannung so klein ist, daß der ADC nur die Zahl 10 liefert, dann sind das
real 10 +/- 0,5 also +- 5 % Fehler!
Wenn die Eingangsspannung hoch ist das der ADC z.B. 20000 liefert, dann sind das real
20000 +- 0,5 also 0,0025 % Fehler(100 * 0,5 / 20000)!
Damit sind kleine Eingangsspannungen nach der Wandlung mit einem größeren Fehler
behaftet als große.

Zurück zur Realität :

Unser 16Bit ADC ist leider nicht ideal und besonders Hochgeschwindigkeits-ADC wie
für SDR gebraucht haben nicht die Auflösung Brutto = Netto. Heißt der 16Bit ADC
liefert effektiv eine geringere Auflösung als 16Bit.
Deshalb bezeichnet man die reale Auflösung des ADC nicht mit Bit sondern mit der
Maßeinheit ENOB(effective number of bits).
Unter dem Link
http://www.adat.ch/pub/Vortrag_Friedric … 260511.pdf
(HB9CBU) kann man auf S.11 „Einfluss der Auflösung des AD-Wandlers“ sehen, dass ab
8Bit-ADC die ENOB’s sichtlich weniger werden. Bei einem 16Bit ADC können wir mit
ca. 13Bit real rechnen.

Fassen wir die Eigenschaften eines ADC zusammen :

– Je kleiner die Eingangsspannung, desto mehr undefinierte Störungen des ADC machen sich
bemerkbar, weil sie eine konstante Größe haben.
Einige ADC-Hersteller versuchen diesen Effekt zu kompensieren durch Hilfsmittel wie
z.B. Dithering(Addition eines Rauschsignales zum Eingangssignal).

– Je größer die Eingangsspannung, desto weniger fallen die ADC-bedingten Störungen ins
Gewicht wegen ihrer konstanten Größe.

– Übersteuerung(Overload) tritt ein, wenn die ADC-Eingangsspannung höher als
+/- max. Amplitude liegt. In diesem Fall gibt der ADC den jeweiligen Max-Wert aus, also
-32768 oder +32767 bei einem 16Bit ADC.

Soweit zum allgemeinen Verständnis und nun zum Thema Bandpässe, IP3 usw. :

– Bandpässe :

Ein Bandpass ist eine Baugruppe, die ein vorgegebenes Frequenzband mit möglichst geringer
Dämpfung(und möglichst geringer Gruppenlaufzeit) passieren läßt und Anteile außerhalb des
Durchlaßbereiches mit möglichst hoher Dämpfung belastet.
Ideal für Empfänger nach dem analogen Prinzip.
Nachteilig für Directsampling-RX wenn die ADC-Eingangsspannung soweit verringert wird,
dass der ADC im suboptimalen Bereich angesteuert wird. Das ist dann kontraproduktiv.
In diesem Falle wären Signale außerhalb des Bandpass-Durchlaßbereiches willkommen, die
den Eingangspegel des ADC in dessen optimalen Arbeitsbereich anheben.

Deshalb sollte man prüfen, ob Bandpässe am RX-Eingang wirklich einen Nutzen bewirken
oder man sich den Aufwand sparen kann.

Im einfachsten Falle sollte man Mut zum Risiko zeigen und einfach einen schaltbaren
Abschwächer mit nachfolgendem Breitbandverstäker aufbauen und testen.
Wenn NIX-Verstehen, dann den Abschächer stufenweise zuschalten.
Im CQ-NRW-Forum wurde im Zeitraum Feb. bis Apr. 2016 von Gerd DC6HL eine
einfache Breitbandverstärker-Baugruppe propagiert, die alles hat was man braucht.
Der Schaltplan sollte im Archiv noch verfügbar sein.

– IP3 (Third-order intercept point) :

Über die Jahrzehnte mittlerweile für RX, TX, Linearverstärker usw. – also für alle
analogen nichtlinearen Systeme(andere gibt es nicht) – eine feste Größe und gut
meßbar, berechenbar und extrapolierbar.

Aufbauend auf dem bisherigen kann man sagen :
Bei kleinen ADC-Eingangsspannungen überwiegen unerwünschte Effekte, die sich
unter anderen in einem ungünstigeren IP3 äußern. Je mehr man in den optimalen
Arbeitsbereich des ADC hineinläuft, desto mehr bleibt der IP3 konstant und bei
Overload ist schlagartig Sense Kamerad.
Dies ist kein lineares Verhalten wie bei einem analogen System!

Wer also den IP3 eines analogen RX mit dem eines SDR-Directsamplers vergleicht,
der vergleicht Äpfel mit Birnen.
Es gibt Versuche und Methoden, die IP3-Werte ineinander umzurechnen.
Es macht aber keinen Sinn :
– Bei einem analogen System kann ich durch geeignete Auswahl an Bauelementen
und Baugruppen (z.B. Hochstrom-FET’s wie P8002/CP643 und Hochleistungsmischer)
den IP3 beeinflussen. Zusätzlich durch vorgeschaltete Bandpässe, die das von der
Antenne gelieferte Spektrum eingrenzen.
– Bei einem Directsampling-RX ist ein IP3 in dem Sinne nicht vorhanden, weil es dem
ADC egal ist, wieviel Sender in seinem Eingangssignal verschlüsselt sind und sein
Eigenanteil an Verzerrungen nicht durch die Anzahl an Sendern beeinflußbar ist.


Bleibt die Frage : Wieviel IP3 brauchen wir(noch)? :

Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, das Streben nach dem immer zu überbietenden
aktuellen Weltrekord oder die Dimensionierung eines Systems nach anderen Kriterien wie
Kosten/Nutzen oder was ist mindestens notwendig.

Dazu ein kurzer Ausflug in die Vergangenheit :

Beginnend in den 1930er Jahren bis etwa 2005-2010 war alle Kommunikation sowohl draht-
gebunden als auch drahtlos über die AM-, FM- und Fernseh-Bereiche.
Nach dem zweiten Weltkrieg bis Anfang der 1990er standen sich zwei antagonistische Weltsysteme
gegenüber, maximal hochgerüstet sowohl militärisch als auch bezüglich Kommunikationstechnik.
Der Austausch der Ideologien fand über Rundfunk und Fernsehen statt mit hoher Sendeleistung.

Gerade aus heutiger Sicht profilierte sich damals ein Paradoxon :
Man begann Breitband-Kommunikationsempfänger zu bauen, die lückenlos und ohne Vorselektion
(nur Tiefpass/Hochpass zum Trennen KW von MW/LW) den Bereich 30kHz bis 30MHz empfangen
konnten.
Diese RX mußten zumindest im ersten Vorverstärker und ersten Mischer die volle Breitseite
von KW oder LW/MW verkraften. Das waren Meisterwerke der Ingenieurskunst!

Heute hat sich die Belegung der AM-Bereiche mit Rundfunksendern weitgehend „konsolidiert“.
So gibt es wohl im deutschsprachigen Raum keine AM-Sender mehr. Durch den Rückbau der
Sender und Antennen ist diese Ära unwiederbringlich verloren.

So bleibt an IP3-trächtigen Signalen nur noch ein Bruchteil dessen übrig, was vor 10 und mehr
Jahren einmal war. Deshalb sind die Anforderungen an den IP3 eines RX auch um Größenord-
nungen niedriger. Da ist wohl eher der IP3 unseres Sendesignales interessant.

Bleibt die letzte Frage : Was will ich dem geneigten Leser eigentlich mitteilen? :

Unser SDR-Directsample-(T)RX ist wie die Breitband-Kommunikationsempfänger der
Vergangenheit ebenfalls ein Meisterwerk der Ingenieurskunst und ebenfalls ein Breit-
bandsystem.
Das Vorschalten von Bandpässen verbessert den IP3 dieses Systems nicht und sollte
der Ausnahmefall sein.
Im Gegenteil schränkt man die Möglichkeiten ein, die diese Systeme bieten.
Ich betreibe nun gut 1,5 Jahre ein Red Pitaya mit vorgeschaltetem Breitbandverstärker
von Gerd DC6HL und es war noch nie notwendig, den 20dB-Abschwächer wegen
Übersteuerung einzuschalten.
Dies können sicher auch andere Funkamateure bestätigen, die das gleiche oder andere
Breitbandkonzepte betreiben oder z.B. ein Hermes-Board RX-seitig direkt an der Antenne.

Herzliche 73 aus Gotha

Detlev dl4aoi

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Alexander Kade

Hallo zusammen,
erst einmal Danke an den Verfasser Detlev DL4AOI für die Zusammenfassung und Schilderung mancher Missverständnisse die mit der neuen SDR Technologie einhergehen. Hier sind sicher noch viele OMs verunsichert.
Was ich aber auf keinen Fall so pauschal von Detlef angemerkt stehen lassen möchte, ist die Nutzung/nicht Nutzung von Bandpassfiltern.
Hier sollte bedacht werden, dass ausgewachsenen Antennen (Wir reden hier zum Beispiel über Dipole/Doppel Zapp Antennen von Längen größer >38m und Aufbauhöhen >15m)
Hermes und/oder auch andere SDR Transceiver in die Übersteuerung (overload) bringen und dort auch gerne stecken bleiben. Hier ist es unerlässlich einen BPF zu nutzen.
In vielen Band- Situationen an meiner Antenne (Siehe QRZ.com), gerade im 40m Band ist ein Betrieb ohne BPF fast unmöglich. Hermes geht in Dauer- overload.
Zudem sind sicher auch OMs betroffen, die in der Nähe von Rundfunksendern wohnen. Diese hohen Summenspannungen können den SDR an seine Grenzen bringen. Hier schafft nur ein BPF Abhilfe.

Somit empfehle ich:
Jeder sollte bei der Konzipierung seines SDR Transceivers die eigene Antennensituation berücksichtigen und testen.

Gruß aus der Vor-Eifel
73 Alex DL1KD

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